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WUT – vom Umgang mit einer Emotion mit schlechtem Ruf



Wann sind Sie das letzte Mal wütend gewesen? So richtig wütend?

Gibt es überhaupt einen Moment, in dem Sie sich schon einmal als wirklich wütend empfunden haben? Oder sogar cholerisch?

 

Obwohl „Wut“ nach Paul Ekman als eine der sechs Basisemotionen gilt, ist sie im Alltag fast immer verpönt. Wut wird als Emotion verurteilt, wütendes Verhalten mit mangelnder Disziplin und Selbstkontrolle gleichgesetzt. Da hat sich jemand nicht im Griff‘, sagt der Volksmund, wenn eine Person unter den Augen der Öffentlichkeit einen Wutanfall hat. Dabei ist Wut als Emotion wesentlich wichtiger und gesünder als ihr schlechter Ruf.

 

Physiologisch betrachtet hat Wut eine gesundheitsfördernde Wirkung. Im Körper kommt es zur Ausschüttung von Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin – Hormone und Botenstoffe, die einen Anstieg unseres Blutzuckerspiegels und Blutdrucks bedingen. Diese steigende Zirkulation unseres Blutes bekommen wir zu spüren, indem unser Puls in die Höhe schnellt. Wir fühlen uns wach und energiegeladen – die klassische „fight, flight or freeze“-Haltung.

 

Wut – wofür bist du denn gut?

 

Neurowissenschaftler*innen, Psychiater*innen und Psycholog*innen betonen verstärkt die gesunden und hilfreichen Aspekte der Wut. So zeigt sie Grenzen auf, ist Stoppschild und Warnsignal in Konflikten, deutet auf menschliche Verletzlichkeit hin und kann auf körperlicher Ebene Entspannung in unser Nervensystem bringen – sofern sie richtig kanalisiert wird. Studien belegen beispielsweise, dass Proband*innen, die ein hohes Maß an Wut berichteten, ihre Ziele deutlich schneller erreichten oder beim Lösen von schwierigen Rätseln kreativer und schneller waren.

 

Bezogen auf die Positive Psychologie ist Wut häufig sehr mit unseren eigenen Werten verknüpft. Erschüttert etwas – oder jemand – unser Wertegerüst, fühlen wir uns „getriggert“. Interessanterweise berührt uns das vermeintliche Fehlverhalten von Personen, die uns nahestehen deutlich mehr als das von Menschen, die uns eher fremd sind.


Maßgeblich geprägt wird unser Umgang mit dem Thema Wut in unserem Elternhaus. Lernen wir im Laufe unserer Sozialisation, dass nahe Bezugspersonen offen ansprechen, was sie wütend macht, Gefühle zulassen, die Stimme erheben oder auch mal vorwurfsvoll werden und sich dennoch wieder versöhnen, gelingt es auch uns besser, Emotionen zuzulassen. Damit vermittelt sich eine echte Zukunftskompetenz, denn das Regulieren von Emotionen gilt als Fähigkeit zur Selbstführung.

 

Auf die Dosis kommt es an

 

Dabei lässt sich Wut mit dem Bild eines Schiebereglers visualisieren, den wir hin- und herschieben, also regulieren können.

Den Unterschied machen hier die „Coping Strategies“ – also quasi Ventile für unsere Wut. Übrigens: Das Unterdrücken von Wut ist nicht die Lösung. Körperliche Aktivität, expressives Schreiben oder Gespräche mit Vertrauenspersonen zählen zu den gängigen Umgangsformen.

 

Individuell gesund, gesellschaftlich transformativ


Laute Straßenproteste gegen Polizeigewalt nach dem Tod von George Floyd in den USA, das Fordern von Abrüstung oder Atomausstieg oder die jüngsten Demonstrationen gegen einen Rechtsruck in Deutschland – historisch betrachtet hat Wut schon auf gesellschaftlicher Ebene seit jeher eine transformative Kraft. Wut als Ausdruck von Demokratie, als Mittel politischer Teilhabe und Stimme. Somit kommt ihr nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch im Kontext der „Third wave positive psychology“ eine tragende Rolle zu.


Grund genug also, mal wieder wütend zu werden!



Quellen


Adler, A. B., LeardMann, C. A., Roenfeldt, K. A., Jacobson, I. G. & Forbes, D. (2020). Magnitude of problematic anger and its predictors in the Millennium Cohort. BMC Public Health, 20(1). https://doi.org/10.1186/s12889-020-09206-2

 

Lench, H. C., Reed, N. T., George, T., Kaiser, K. A., North, S. G. & Department of Psychological and Brain Sciences, Texas A&M University. (2023). Anger Has Benefits for Attaining Goals. In Journal Of Personality And Social Psychology: Attitudes And Social Cognition. https://www.apa.org/pubs/journals/releases/psp-pspa0000350.pdf

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