Über drei Tage hatten 1.300 Teilnehmende die Möglichkeit, renommierten Keynote-Speaker*innen wie Kim Cameron und Gabriella Rosen Kellerman zuzuhören, sich mit Praktiker*innen aus dem Feld zu vernetzen und aktuelle Forschungsergebnisse sowie Ideen zum Praxistransfer auszutauschen.
Tief bewegend und ein fachliches Highlight war für uns der Vortrag unserer Direktorin und Professorin Judith Mangelsdorf, die das Publikum einlud, mit ihr etwas nahezu Unmögliches zu wagen: „in die Sonne zu schauen”. Unter dem Titel „Wie existenzielle Erfahrungen den Weg in eine bessere Zukunft weisen” vereinte sie aktuelle Forschung zum posttraumatischen und postekstatischen Wachstum und führte 1.300 Personen durch die Frage, wie uns die besten, aber auch die schlimmsten Erfahrungen unseres Lebens prägen. Antworten auf ihre Frage, was sich durch diese einschneidenden Erfahrungen in unserem Leben verändert hat, berührten viele der Anwesenden sichtlich. Ihre Herzensbotschaft verdeutlichte sie unter dem Schlagwort „Globality”, mit dem sie die 4. Welle der Positiven Psychologie postuliert: „Wenn wir es ernst meinen mit der Positiven Psychologie, müssen wir dafür sorgen, dass kollektives Wohlbefinden gesamtgesellschaftlich gelingt – und nicht nur das Privileg einer kleinen Minderheit bleibt.” Dazu – so ihre Überlegung – ist auch Verzicht notwendig, um Herausforderungen wie dem Klimawandel oder wachsender sozialer Ungerechtigkeit etwas entgegenzusetzen.
Den Auftakt machte am Freitagabend der emeritierte Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik der Universität Zürich Willibald Ruch. Er stellte unter anderem die Beziehung der VIA-Charakterstärken zu übergeordneten Tugenden vor. So korreliert die Charakterstärke Neugier beispielsweise am höchsten mit der Tugend Weisheit und Wissen. Das Ausleben von Tugendhaftigkeit wird durch den Einsatz von Charakterstärken möglich und weist somit einen Weg in die Zukunft.
Alfred Pritz, Gründungsrektor der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, stellte in seinem Grußwort fest: „Manchmal sind es die Brüche in unserem Leben, die das Licht hereinlassen”. Er erzählte von der beeindruckenden Resilienz erfolgreicher Personen wie Walt Disney oder Michael Jordan und bemühte die Firmengeschichte vom IT-Unternehmen IBM, um zu verdeutlichen, dass auch heute weltberühmte Personen immer wieder die Fähigkeit benötigen, nach Rückschlägen optimistisch der Zukunft entgegenzugehen.
Mit seiner Keynote „The Secret of Positive Energizing” läutete Kim Cameron den Samstagmorgen ein und sorgte für einen energetischen Start in den Tag. Er stellte seine Forschung vor, nach der High-Performance-Organisationen dreimal mehr Personen haben, die als „positive energizers” wirken, als solche, die im Low-Performance-Bereich zu finden sind. Dass wir als Menschen eine inhärente Tendenz haben, uns am Positiven auszurichten, erklärte er über den „heliotropischen Effekt”, der beschreibt, dass Pflanzen sich immer in Richtung Sonne neigen.
Markus Ebner fragte in seinem Vortrag zum Thema Positive Leadership: „Was wäre, wenn wir aufhören, Menschen passend zu machen?” und legte eindrucksvoll dar, welchen Unterschied gelingende Führung machen kann – auf persönlicher wie auf wirtschaftlicher Ebene.
Leopold Seiler schlug die Brücke zwischen Positiver Psychologie und Philosophie. Zukunft erklärte er mit der Metapher eines Ruderers, welcher sich in Richtung Zukunft bewegt, in dem er den Blick gen Vergangenheit richtet.
Über die „Gute Zukunft in Therapie und Beratung” sprach Philip Streit und nahm Ideen und Punkte von Gunther Schmidt auf, der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Positiver Psychologie und hypnosystemischer Therapie darlegte. Mit „Wörtern, die die Zukunft ermöglichen” bereicherte Gabriele Sauberer den Kongress. Der Arzt und Psychiater Joachim Bauer berichtete vom Realitätsverlust, den Kinder und Jugendliche aufgrund der digitalen Medien erfahren, so dass sie folglich häufig nicht mehr zwischen Realität und virtuellem Raum unterscheiden können.
Alena Slezáčková, Professorin an der Masaryk Universität in Brünn, illustrierte die Kraft von Resilienz am Beispiel der Sequoia-Bäume in Nordamerika, die immer wieder schweren Waldbränden ausgesetzt sind. Aus deren Asche und den darin enthaltenen Mineralstoffen wachsen wieder neue Bäume. Ihre Ideen, um auch in herausfordernden Zeiten hoffnungsvoll zu bleiben: sinnvolle Ziele setzen, Achtsamkeitsmeditation praktizieren, sich auf etwas freuen, bewusster Genuss, Dankbarkeit und Reflexionsfragen.
Den Schulterschluss zur Praxis stellten Eva Jambor und Ingrid Teufel mit „PERMA-Teach” sowie Andrea Fuchs mit „PERMA-Lead” am Beispiel des renommierten Wiener Hotels Sans Souci her. So findet das PERMA-Modell anhand der fünf Finger der linken Hand und zugehörigen Reflexionsfragen zu jeder einzelnen Säule mittlerweile Anwendung in der Ausbildung von Lehrkräften an österreichischen Volksschulen. Andrea Fuchs berichtete humorvoll von gelebter Verantwortungsübergabe in der Praxis. Nachdem eine Nachtbaustelle für Lärm im Hotel Sans Souci sorgte, legte sie die Entscheidung darüber, ob und in welchem Rahmen sich beschwerende Gäste eine Entschädigung erhalten, in die Hände des Nachtpersonals. Die „harten Zahlen” sind eindeutig: Wirtschaftlich war diese Entscheidung für das Hotel ein voller Erfolg und auf persönlicher Ebene ein Vertrauensbeweis für sie als Führungskraft. „Und wissen’s, wenn es um zwei Uhr morgens eine Flasche Champagner gibt, um sich für den Lärm zu entschuldigen, ist der Presslufthammer vor der Tür eh nimmer so laut.”, resümierte die Wienerin.
Um „Vertrauen” ging es auch im Vortrag von Daniela Blickhan, Direktorin und Gründerin des Inntal-Instituts. Aus Sicht der Positiven Psychologie lohnt es sich zu fragen: „Was an Vertrauen ist ein Mehr als Nicht-Misstrauen oder Nicht-Kontrolle?” So kann Vertrauen in verschiedenen Dimensionen gedacht werden: das Vertrauen in mich selbst, das Vertrauen in Andere, das Vertrauen ins System. Zeit bewusst gemeinsam zu verbringen und einander ohne Agenda zu begegnen ist dabei eine erste Idee, wie Vertrauen in der Praxis gefördert werden kann.
Zwischendrin fanden viele Besucher*innen den Weg zum Stand der DGPP im Foyer, der von Gaby Johannsen betreut wurde. Beim gemeinsamen Gruppenfoto aller DHGS- & DGPP-Alumni reichte die Kongressbühne kaum aus, um Platz für alle und eine gemeinsame Erinnerung zu bieten.
Gabriella Rosen Kellerman, Mitglied des Führungsteams des Coaching-Unternehmens „BetterUp”, verdeutlichte den Mehrwert gesunder und tiefgreifender sozialer Verbindungen. Und genau dafür ist vor allem Zeit notwendig – jedoch sehr viel weniger, als wir häufig annehmen. In einer Studie waren schon kurze Botschaften der Wertschätzung von 10 bis 45 Sekunden wirksam darin, das Stress- und Angsterleben von Patient*innen zu reduzieren. Gemeinsam mit Martin Seligmann machte sie sich außerdem stark für eine Weiterentwicklung der PERMA-Säule „M” – von „meaning” zu „mattering”. Mit „mattering“ verbindet sie eine Sub-Kategorie von „meaning“. Das macht diese PERMA-Säule, so Kellermann, verständlicher.
Das Finale lieferte am Sonntagnachmittag Martin Seligman, der mit 81 Jahren noch einmal auf die große Bühne von Organisator Philip Streit (Seligman Europe Tour) trat. Fasziniert berichtete er von seinem Lebenswerk und der Genese des PERMA-Modells, aber auch neuer Forschung zur Anwendung von künstlicher Intelligenz in Coaching-Prozessen. So lassen sich beispielsweise individuelle Coaching-Szenarien mit KI-generierten Interventionen und Prozessideen verbinden. „This is a machine”, stellte er selbst verblüfft fest, als er Fallbeschreibungen und die aus KI resultierenden Vorschläge zu Coaching-Schritten vorstellte. Mit „Ask Martin” wird Martin Seligman in Form einer App für Kinder und Jugendliche in China zum Alltagsbegleiter und Anlaufstelle für Fragen der persönlichen Entwicklung und Unterstützung.
Tief beeindruckt von der Zukunftsorientierung des wohl einflussreichsten Mannes der Positiven Psychologie gab es in den letzten Momenten minutenlangen Applaus und spürbare Dankbarkeit für einen Kongress voller Fachexpertise und gelebtem Miteinander.
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