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Selbstakzeptanz: Die wissenschaftliche Perspektive auf das „Ja“ zu mir selbst

Aktualisiert: 24. Sept. 2024



„Put yourself first“ oder „Mach’ dich selbst zum wichtigsten Menschen in deinem Leben“. Bestimmt ist Ihnen ein solcher Satz auch schon einmal begegnet. „Selbstliebe“ ist im Trend. Influencer versprechen heilsbringende Selbstliebe-Hacks smarte Sätze und Handlungsaufforderungen wie „liebe dich jetzt“ dominieren das Netz und erreichen dabei vor allem eines: noch mehr Druck. Alleine auf Instagram findet man unter dem Hashtag „Selbstliebe“ 2,2 Millionen Beiträge, knapp 200 Posts bespielen den Hashtag „Selbstliebelernen“. Und auch popkulturell hat das Thema „Selbstliebe“ längst Einzug genommen – mit ihrem Song „Flowers“ brach die US-Sängerin Miley Cyrus beispielsweise den Rekord der meistens Streams innerhalb einer Woche auf der Plattform Spotify. Google zeigt für den Begriff „Selbstliebe“ nahezu 5 Millionen Treffer an.


In einer zunehmend vergleichsorientierten Welt sind immer mehr Menschen auf der Suche nach einem echten „Ja“ zu sich selbst. Wie kann genau das zustande kommen, was zahlt aus Perspektive der Positiven Psychologie darauf ein und inwiefern lässt es sich trainieren? Die wissenschaftliche Antwort darauf, was es braucht, um die eigene Persönlichkeit in ihrer Mannigfaltigkeit zu schätzen, lautet „Selbstakzeptanz“.

 

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit eines Individuums, sich selbst vollständig zu akzeptieren, einschließlich aller Stärken, Schwächen, Fehler und Unvollkommenheiten: „True self-acceptance is embracing who you are, without any qualifications, conditions, or exceptions“ (Seltzer, 2008). Es geht darum, sich selbst so anzunehmen, wie man ist, ohne übermäßig kritisch zu sein oder sich ständig zu verurteilen. Selbstakzeptanz ist eine Form der Selbstliebe und des Selbstmitgefühls, die es ermöglicht, ein authentisches und erfülltes Leben zu führen.


Wissenschaftliche Hintergründe:


  1. Theorie der Selbstakzeptanz:

    Carl Rogers: Einer der Pioniere in diesem Bereich war der humanistische Psychologe Carl Rogers. Er postulierte, dass bedingungslose positive Wertschätzung eine Schlüsselrolle für die Selbstakzeptanz spielt. Rogers argumentierte, dass Menschen, die bedingungslose Akzeptanz durch andere erfahren, eher in der Lage sind, sich selbst zu akzeptieren. Er verdeutlicht damit die Wichtigkeit der Sozialisation: wer in Kindertagen lernt, dass er/sie okay ist, so wie er/sie ist, hat eine bessere Chance, eine stabile Selbstakzeptanz zu entwickeln.


    Albert Ellis: In der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) hat Albert Ellis das Konzept der „Rational Emotive Behavior Therapy“ (REBT) entwickelt. Ellis betonte, dass irrationale Überzeugungen über sich selbst und andere die Selbstakzeptanz behindern können. Durch das Erkennen und Überwinden dieser Überzeugungen kann eine Person eine größere Selbstakzeptanz erreichen. Er war es auch, der den Unterschied zwischen Selbstakzeptanz, die in Relation zur eigenen Person entsteht und stabil ist, und Selbstwert, der im Vergleich mit anderen Personen entsteht und daher fragil ist, unterschieden hat und von dem das Zitat stammt: „Ich bin wertvoll, weil ich existiere, einfach deshalb, weil ich lebe.”


  2. Selbstakzeptanz und mentale Gesundheit:

    Positive Psychologie: In der Positiven Psychologie wird Selbstakzeptanz als ein wesentliches Merkmal des psychischen Wohlbefindens angesehen. Die Positive Psychologie unterscheidet den würdigkeitsbasierten Selbstwert vom erfolgsbasierten Selbstwert. Der letztere braucht Bestätigung durch immer wiederkehrende Leistung.


    Selbstmitgefühl: Kristin Neff, eine führende Forscherin im Bereich Selbstmitgefühl, betont, dass Selbstakzeptanz ein zentraler Bestandteil des Selbstmitgefühls ist. Menschen, die sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis behandeln, anstatt sich zu verurteilen, fördern ihre psychische Gesundheit und Zufriedenheit. In einer Studie aus dem Jahr 2015 zeigte sich beispielsweise, dass Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren signifikant mehr Selbstmitgefühl und Lebenszufriedenheit und weniger Depressionen zeigten, nachdem sie ein Programm zur Steigerung von Selbstmitgefühl durchliefen. Die Interventionen zeigten außerdem Hinweise auf mehr Achtsamkeit, mehr soziale Verbundenheit und weniger Angst.


  3. Hindernisse für Selbstakzeptanz:

    Perfektionismus: Perfektionismus ist ein häufiges Hindernis für Selbstakzeptanz. Perfektionistische Menschen setzen sich oft unrealistische Standards und sind extrem selbstkritisch, was die Fähigkeit zur Selbstakzeptanz beeinträchtigen kann.


    Gesellschaftliche Normen und Vergleich: Gesellschaftliche Erwartungen und der ständige Vergleich mit anderen (insbesondere in Zeiten der sozialen Medien) können die Selbstakzeptanz erschweren, da Menschen dazu neigen, sich abwertend in Bezug auf andere zu betrachten.


  4. Förderung der Selbstakzeptanz:

    Achtsamkeit: Achtsamkeitspraxis kann dazu beitragen, Selbstakzeptanz zu fördern, indem sie das Bewusstsein für gegenwärtige Erfahrungen und Gefühle ohne Urteil schärft. „Wie würde ich einem guten Freund in der gleichen Situation begegnen?“, „Was ist im Hier und Jetzt?“ und „Wie kann ich von meinen Gedanken und Gefühle Abstand gewinnen?“ sind Reflexionsfragen, die auf Achtsamkeit einzahlen.


    Therapeutische Interventionen: Verschiedene therapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie, humanistische Therapie sowie Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) zielen darauf ab, die Selbstakzeptanz zu fördern. Eine Idee hierzu lernen Sie in unserem ImPPuls kennen.


Fazit: „Ich bin okay – gerade weil ich Fehler habe“


Selbstakzeptanz ist – plakativ ausgedrückt – die diplomatische Antwort auf die Forderung der Selbstliebe. Selbstverständlich müssen wir nicht alle Teile unserer Persönlichkeit lieben. Es ist okay, die eigene Unpünktlichkeit, Grübelei oder Frisur ganz entschieden nicht zu mögen – und trotzdem zu sich selbst als Person stehen zu können. Daher ist der Begriff der Selbstakzeptanz manchmal hilfreicher als der der Selbstliebe, der immer Interaktion benötigt. Das betont die US-amerikanische Therapeutin Esther Perel. Damit schließt sie an eine der zentralen Ideen der Positiven Psychologie an: die Wichtigkeit gelingender sozialer Beziehungen. In in ihrem Blog „Letters from Esther“ entlarvt sie den Begriff der Selbstliebe als Mythos in einer überindividualisierten Welt, in der wir uns permanent optimieren und versorgen müssen – und zwar alleine. Doch der Mensch sei immer beides: ein selbstständiges und zugleich abhängiges Wesen. Also lautet vielleicht eine tröstliche Nachricht bei der Frage nach guter Selbstakzeptanz: wir brauchen einander.

 

Quellen

Bluth, K., Gaylord, S. A., Campo, R. A., Mullarkey, M. C. & Hobbs, L. (2015). Making Friends with Yourself: A Mixed Methods Pilot Study of a Mindful Self-Compassion Program for Adolescents. Mindfulness, 7(2), 479–492. https://doi.org/10.1007/s12671-015-0476-6


Ellis, A. (2005). The Myth of Self-esteem: How Rational Emotive Behavior Therapy Can Change Your Life Forever. https://idajiwuxys.files.wordpress.com/2014/08/a-guide-to-rational-living.pdf


Neff, K. (2012). Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden.



Rogers, C. M., Smith, M. D. & Coleman, J. M. (1978). Social comparison in the classroom: The relationship between academic achievement and self-concept. Journal Of Educational Psychology, 70(1), 50–57. https://doi.org/10.1037/0022-0663.70.1.50

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