Professor Biswas-Diener hat sich in seiner Forschungsarbeit in den vergangenen Jahren intensiv mit der Kategorie Mut beschäftigt.
Vor einiger Zeit fuhr ich zusammen mit meiner Frau an einem Sonntagnachmittag auf der Autobahn in Richtung Berlin. Es waren wenig Autos auf der Straße und die Fahrt war eine klassische Sonntagstour mit 130 Kilometern pro Stunde. Plötzlich überholte uns ein PKW mit hoher Geschwindigkeit, kam nach links von der Fahrbahn ab, stieß gegen die Leitplanke, drehte sich um die eigene Achse und verschwand wie ein Pfeil über die rechte Böschung im Unterholz des angrenzenden Waldes.
Ich schaute in den Rückspiegel und sah, dass wir das einzige Fahrzeug in der Nähe waren. Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte der Gedanke auf, einfach weiterzufahren, um nicht mögliche Schwerverletzte aus einem Autowrack zerren zu müssen. Dann lief, meine Angst überwindend, alles automatisch ab. Ich fuhr auf den Randstreifen und schaltete mit zitternden Händen die Warnblickanlage an. Meine Frau lief mit dem Warndreieck ein Stück hinter das parkende Auto. Ich wagte einen ersten Blick über die Böschung zu dem Autowrack. Das Fahrzeug hatte sich offensichtlich mehrmals überschlagen und war nach etwa zwanzig Metern wieder auf den Rädern, die merkwürdig nach innen geneigt waren, gelandet. Die jungen Bäume des Unterholzes, die in halber Höhe wie wegrasiert erschienen, hatten offensichtlich die Energie des ungewollten Freifluges des PKW stark gebremst.
Ich kletterte mit weichen Knien die Böschung herunter. Plötzlich ging nach einigem Ruckeln und Stoßen im Innern des PKW eine Tür auf und ein junger Mann stieg noch etwas benommen heraus. Er war ansprechbar und unverletzt. Nachdem er mir geantwortet hatte, lief er schimpfend und weinend um das Auto herum. Wie ich aus seinen Flüchen und Klagen entnehmen konnte, hatte er sich das Auto von einem Bekannten geborgt, war die ganze Nacht durchgefahren und offensichtlich am Steuer eingeschlafen. Wir riefen die Polizei, machten unsere Zeugenaussage und konnten weiterfahren. Besonders mutig kam ich mir anschließend nicht vor.
Wie ich später bei Robert Biswas-Diener und anderen Wissenschaftlern der Positiven Psychologie nachlesen konnte, ist Mut nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Einschätzung und Entscheidung, dass es trotz allem etwas Wichtigeres als die Angst gibt. Nach seiner Auffassung gehört zu Mut, dass man sich des persönlichen Risikos bewusst ist, wenn man sich auf eine bestimmte Situation einlässt, dass ein Gefühl der Angst existiert und dass das Ergebnis eines Engagements unsicher und offen ist. (Interview von Lisa Samson mit R.B.D. in "Positive Psychology News" vom 16.4.2012) Den Beitrag finden Sie hier.
Mut bezieht sich dabei nicht nur auf physische Handlungen. Oftmals ist Mut auch erforderlich, um zu seiner Meinung zu stehen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Mut ist auch nicht für jeden das Gleiche. Einer benötigt Mut, sich auf die Suche nach neuen Freunden zu machen und der andere braucht Mut, seinem Chef gegenüber den eigenen Standpunkt zu vertreten. Es geht immer darum, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, ein Risiko einzugehen und über die bis dato selbst gesetzten Grenzen hinauszugehen.
In seiner Betrachtung von Mut im Sinne der Positiven Psychologie geht Robert Biswas-Diener in dem genannten Interview und dem Buch "The Courage Quotient" aber noch einen Schritt weiter. Er meint: "Mut ist der kürzeste Weg zu einem guten Leben" (ebenda). Er ist der Ansicht, dass Mut sogar ein Synonym eben für dieses gute Leben ist. Ängste sind nach seiner Ansicht ganz normal und vernünftig. Sie würden aber von Aktivitäten abhalten, die das Leben reicher und lohnender machen. Menschen, die ein in jeder Weise engagiertes und intensives Leben führen, sind in einem gewissen Grade auch mutiger. Dieser Mut gehört zu der Bereitschaft, immer wieder etwas Neues zu versuchen. Mit Mut kann man aus der eigenen Komfortzone heraustreten und entdecken, was man selbst dem Leben anzubieten hat und was im Gegenzug das Leben einem Tag für Tag offeriert.
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