Für viele Menschen scheint die Zeit immer zu knapp zu sein, um all die Dinge zu erledigen, die sie auf ihrer To-Do-Liste haben. Sie fühlen sich gehetzt, unbefriedigt und unwohl. Mit dem Blick auf das menschliche Wohlbefinden stellt sich deshalb auch für die Positive Psychologie die Frage, wie es uns gelingen kann, die Kontrolle über unsere Zeit wiederzugewinnen, sie richtig einzusetzen und auch über diesen Weg einen Beitrag für ein glückliches Leben zu leisten.
Ein zentrales Element dazu ist es, herauszufinden, mit welchem Blick ich auf die Zeit schaue, welche Perspektive für Zeit man hat. Diese sagt etwas darüber aus, ob ich mich eher auf die Vergangenheit beziehe, von der Gegenwart ausgehe oder den Blick mehr in die Zukunft richte, wenn ich Entscheidungen treffe und aktiv werde.
Diese Zeitperspektive hat somit einen starken Einfluss auf unser Verhalten, unsere Gesundheit, Schlaf, Partnerwahl und vieles mehr. Auch wenn diese Perspektive durch aktuelle Umstände wie Arbeitsstress, Urlaubsumgebung oder anderes beeinflusst wird, ist sie ein relativ stabiles persönliches Charakteristikum. Die meisten Menschen tendieren dahin, eine dominante Zeitperspektive zu haben. Es lassen sich dabei fünf Untertypen unterscheiden.
die der Zukunft zugewandte Person
der Mensch mit einem negativen Blick auf die Vergangenheit
das Individuum mit einer positiven Sicht auf das Vergangene
der hedonistische Mensch der Gegenwart
die schicksalsergebene Person der Gegenwart
Die besonders in die Zukunft orientierten Menschen haben zukünftige Ziele im Blick. Gegenwärtiges Vergnügen und Zeit kostende Ausschweifungen werden hintenangestellt. Diese Personen sind in der Regel beruflich erfolgreich.
Der hedonistische Gegenwartstyp sucht Vergnügen und Nervenkitzel. Er ist für jedes Abenteuer zu begeistern. Solche Personen tendieren dazu, Versuchungen wie Alkohol und Drogen nachzugeben. Nicht selten gehören sie zu denen, die eine berufliche oder akademische Karriere vorzeitig beenden.
Die schicksalsergebenen Personen der Gegenwart sehen ihr Leben als weitgehend hoffnungslos an. Sie haben das Gefühl, dass ihr Leben von äußeren Kräften bestimmt wird, die sie nicht kontrollieren und denen sie ausgeliefert sind.
Der Typ mit einem positiven Blick auf die Vergangenheit kann in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgen. Er ist auf Familie, Tradition und Geschichte fokussiert.
Menschen mit einem negativen Blick auf Vergangenheit fühlen sich dagegen von zurückliegenden Ereignissen verfolgt. Ihre Erinnerung an Vergangenes ist von unangenehmen Erinnerungen geprägt, von denen sie sich nur schwer lösen können.
Es stellt sich nun die Frage, welche dieser verschiedenen Zeitperspektiven zu mehr Glück und Wohlbefinden beiträgt?
Eine große Zahl von Forschern auf dem Gebiet der Positiven Psychologie behauptet, dass der Fokus auf die Zukunft entscheidend für Wohlbefinden und positives Handeln ist.
Andere verweisen auf die negativen Auswirkungen der Zukunftsorientierung wie Überarbeitung, Vernachlässigung von Freunden und Familie und favorisieren eine Orientierung auf die Gegenwart als Voraussetzung für Wohlbefinden und Glück. Sie betonen den Wert von unmittelbaren Erfahrungen und Erlebnissen, des sich einer Arbeit völlig hingeben. Aber auch diese Orientierung hat negative Seiten. Dazu gehört zum Beispiel die Negierung von längerfristigen Konsequenzen und das Gefühl des „Morgens danach“.
Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass anders als erwartet die Zeitperspektive Zukunft keinen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden hat. Auch die hedonistische Gegenwartsorientierung trägt wenig zu unserem Gefühl der Lebenszufriedenheit bei. Sie hat zumindest einen positiven Einfluss auf die Steigerung der positiven Affekte, was kaum anders zu erwarten war.
Es stellt sich heraus, dass die Zeitperspektive der positiven Sicht auf die Vergangenheit den förderlichsten Einfluss auf das Wohlbefinden hat. Individuen mit dieser Orientierung haben das höchste Selbstwertgefühl und sind mit ihrem gegenwärtigen und vergangenen Leben zufrieden. Dessen ungeachtet hat auch diese Zeitperspektive ihre Nachteile hat. Sie ist mit einer extrem konservativen Lebenshaltung verbunden. Wechsel und Offenheit für Neues fällt oftmals der Ablehnung anheim. Die Wahrung des Status quo steht im Mittelpunkt auch wenn das nicht im eigenen Interesse ist. Versucht wird der Einsatz alter Lösungsansätze für neue Probleme.
Jede dieser Zeitperspektiven kann einen persönlichen Wert haben. Aber wenn sie allein bestimmend ist und andere minimiert, dann kann das dysfunktional werden. Darüber hinaus hat wie oben gezeigt jede dieser fünf individuellen Perspektiven negative Seiten.
Hier kommt die sogenannte ausbalancierte Zeitperspektive ins Spiel. Sie ist die positive Alternative, um nicht Sklave einer speziellen Tendenz zu sein. Bei einer optimal ausbalancierten Zeitperspektive vermischen sich der Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und wirken in Abhängigkeit von der konkreten Situation, unseren Bedürfnissen und Werten zusammen.
Was heißt es nun, eine ausbalancierte Zeitperspektive zu haben? Personen mit dieser Fähigkeit sind in der Lage, eine temporal Perspektive entsprechend der konkreten Situation in der sie sich befinden, einzunehmen. Wenn sie beispielsweise mit ihrer Familie oder Freunden zusammen sind, bringen sie sich voll ein und haben Spaß und Freude miteinander. Wenn sie einen freien Tag haben, können sie sich erholen, ohne sich ruhelos zu fühlen. Wenn sie arbeiten und studieren nähern sie sich der Situation mit dem Blick auf die Zukunft und arbeiten produktiv.
Die Fähigkeit, fokussieren zu können, Flexibilität und die Fertigkeit zum schnellen Umschalten sind wesentliche Komponenten einer solchen ausbalancierten Perspektive der Zeit.
Obgleich es nicht leicht ist, diese Perspektive in jeder Situation einzunehmen, scheint sie ein Schlüssel zu einem mehr ausgewogenen Arbeitsleben und einer intensiveren Wahrnehmung von Wohlbefinden zu sein. Personen mit einer ausbalancierten Zeitperspektive verfügen sowohl aus hedonistischer als auch aus eudaimonischer Sicht über mehr Potential, um glücklicher als andere Menschen zu sein.
Quellen:
http://hermanaguinis.com/AMPtime.pdf
http://positivepsychology.org.uk/time-in-our-lives/
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